Seebüll liegt in Nordfriesland in einem Marschland an der dänischen Grenze und wären da nicht der Maler Emil Nolde oder der Literaturnobelpreisträger Theodor Mommsen, dann wäre der Ort wohl ziemlich unbekannt. Aber 1926 kauften sich Ada und Emil Nolde, dort wo die Vorfahren von Mommsen gelebt hatten, eine unbebaute Warft, die sie Seebüll nannten. Hier errichteten sie Haus und Atelier. Ein Freund der Familie, der Architekt Georg Rieve, plante das Haus aus Bockhorner Klinkern in dem heute Stiftung und Museum untergebracht ist. Hier kann man sich mit dem Werk des genialen aber umstrittenen Künstler auseinandersetzen oder den Bauerngarten der Noldes genießen. Die Stiftung präsentiert dort in jährlich wechselnden Ausstellungen rund 160 Werke des Künstlers. Im ehemaligen Atelier des Malers hat sein bedeutendstes religiöses Werk – das neunteilige Altarwerk Das Leben Christi – seinen Fixplatz gefunden.

Emil Nolde

Expressionismus in Deutschland

Wer an Expressionismus in Deutschland denkt, hat vermutlich zuerst Franz Marc und August Macke im Kopf, wenn es um die Malerei geht. Vielleicht denkt er oder sie auch an die Neue Künstlervereinigung München, der unter anderen Wassily Kandinsky angehörte oder die Bewegung des Blauen Reiter, die man im Lenbachhaus in München studieren kann. Aber gerade auch Nolde ist ein spannender Vertreter des deutschen Expressionismus, der seine Wurzel in der Kunst eines Cézanne, Gauguin, Vincent van Gogh oder Edvard Munch hat. Aus österreichischer Perspektive wird man, wenn es um den Expressionismus geht, vermutlich an Oskar Kokoschka oder Egon Schiele denken. Aufgrund der Gegebenheiten der K&K Zeit in Österreich setzte der österreichische Expressionismus auf Kontinuität statt Bruch und unterscheidet sich daher sehr. Er kann als Sonderweg innerhalb dieses Stils angesehen werden.

Screenshot / Expressionismus

Wer ist denn nun dieser Herr Nolde?

Der Mann, den man in der Kunstgeschichte unter dem Namen Emil Nolde kennt, wurde 1867 als Hans Emil Hansen in Nolde geboren. Der 1956 verstorbene Künstler ist einer der großen Aquarellisten des 20.Jahrhunderts. Berühmt wurde er mit seinen, in intensiven Farben gemalten, Landschaftsbildern der Küste Norddeutschlands und der Südsee. Der Maler der bis heute Kontroversen auslöst, starb mit 88 Jahren in seinem Haus in Seebüll, das er ab den 1920er Jahren bewohnte. Seine unerwiderte Liebe zum Nationalsozialismus sorgt bis heute für Gesprächsstoff. Denn obwohl er ein glühender Verehrer Hitlers war, galt seine Kunst als „entartet“, 1937 wurden daher mehr als 1000 seiner Werke beschlagnahmt. Als 2019 eine Berliner Ausstellung Nolde als überzeugten Nationalsozialisten und Antisemiten präsentierte, ließ Angela Merkl die zwei Nolde-Bilder im Kanzleramt abhängen. Politisch korrekt war Emil Nolde allerdings nie.

Emil Nolde und Mohnblumen 1942

Emil Nolde und die Politik

Der Maler hat weder zu seinen Lebzeiten, noch nach seinem Tod „ins Bild gepasst“. Adolf Hitler mochte ihn nicht, Helmut Schmidt verehrte ihn und Angela Merkel schätzte ihn seit ihrer Jugend, jedenfalls bis zur Ausstellung „Emil Nolde. Eine deutsche Legende. Der Künstler im Nationalsozialismus“ 2019 in Berlin. Dabei war es kein Geheimnis, dass Nolde ein Judenhasser und ein Anhänger Hitlers war. Immerhin forderte Nolde 1933 einen „Entjudungsplan“, er selbst hatte diesen Plan ausgearbeitet und wollte ihn dem „Führer“ vorlegen. Das ist belegt. Einen Streit mit dem jüdischen Maler Max Liebermann verklärte er zwanzig Jahre später zum Kampf gegen das Judentum. Der Historiker Bernhard Fulda (Cambridge) hat wohl recht, wenn er sagt, dass es Nolde, ähnlich wie Hitler, um die rassische Säuberung des deutschen Volkes ging.

Die Nationalsozialisten mochten Nolde nicht

Es war eine einseitige Liebe, denn die Nationalsozialisten belegten Nolde – damals bereits einer der führenden Vertreter des Expressionismus – mit einem Ausstellungsverbot. Er wurde auch aus der Reichskulturkammer ausgeschlossen was für ihn de facto ein Berufsverbot bedeutete. Bilder durfte Nolde damals keine verkaufen. Hitler mochte die Bilder des Malers nicht. Die einzige Ausstellung auf der der Maler zu dieser Zeit vertreten war, das war die Ausstellung „Entartete Kunst“ – 50 Bilder von Nolde, der Rest der Werke stammte von jüdischen Künstlern. Daher wurde Emil Nolde einige Zeit als „Opfer des Nationalsozialismus“ rezipiert. Er selbst förderte diese Sichtweise nach dem Zusammenbruch des Dritten Reiches natürlich auch. Das Buch „Deutschstunde“, das Nolde mit Siegfried Lenz 1967 schrieb, war ebenfalls hilfreich Emil Nolde als Nazi-Opfer zu verklären. Es gilt bis heute als ein großes Werk der deutschen Nachkriegsliteratur.

Emil Nolde

Wirklich wissen wollte man es vermutlich nicht

Viele Kunstexperten tolerierten wider besseres Wissen den Mythos vom Nazi-Opfer Nolde. Auch die von Künstler noch selbst gegründete Stiftung in Seebüll hielt bis 2013 an dieser Version fest. Erst als der heutige Leiter, Christian Ring, die Stiftung übernahm veränderte sich die Sichtweise auf das Leben des Künstlers. Dabei ist Emil Noldes Geisteshaltung durchaus in seiner Kunst abzulesen. Denn ab 1933 malte er statt Blumen plötzlich germanische Helden oder Wikinger.

Man habe „jetzt einen tieferen Einblick in die Lebens- und Kunstwelt. Vor allem haben wir durch diese Ausstellung ein besseres Verständnis für sein Verhalten vor, während und nach dem Nationalsozialismus“,

Christian Ring

Darf man sich nun Emil Noldes Bilder nicht mehr ansehen?

Man darf aber man sollte Nolde so sehen wie er eben war, denn nur wenn man seine Schattenseiten kennt, versteht man die Kunst dieses deutschen Expressionisten mit dänischer Staatsbürgerschaft. Nolde war definitiv ein Rassist, ein Antisemit und ein Nationalsozialist und er hat das nach dem Untergang des Dritten Reiches geflissentlich vergessen, damit hat er gelogen. Ob sein Antisemitismus an seinem Konflikt mit Max Liebermann liegt oder andere Wurzeln hat, ist schwer zu sagen. Aber auch wenn Nolde vielleicht ein wenig angenehmer Zeitgenosse war, sein künstlerisches Schaffen ist spannend. Christian Ring, der Leiter der Stiftung Seebüll sieht das ähnlich

„Nein. Seine Kunst ist ja nach wie vor grandios. Sein fanatischer Umgang mit der Farbe und wie er sie zum eigentlichen Bildmotiv erklärt, da hat er die größten Verdienste in der deutschen Kunstgeschichte. Das kann man nicht einfach streichen.“

Christian Ring
Grab von Emil Nolde

Wie ist Emil Nolde eigentlich aufgewachsen?

Er wurde in eine Bauernfamilie geboren, sein Geburtstort, Nolde bei Buhrkall, war bis 1920 preußisch. Er selbst gehört der Volksgruppe der Nordschleswiger an. Als Schleswig nach der Volksabstimmung 1920 an Dänemark fiel, nahm Emil Nolde die dänische Staatsbürgerschaft an. Sein Vater war ein Nordfriese aus Niebüll und schickte den kleinen Nolde auf die deutsche Schule in Burkhall. In Flensburg wurde er später als Grafiker und Schnitzer an der Kunstgewerbeschule ausgebildet. Nolde verließ die Schule allerdings ohne Abschluss. Sein erstes Geld als Künstler verdiente er sich als Postkartenmaler. An der Akademie in München wurde er abgelehnt. Sein Lehrer wurde Adolf Hölzl in Dachau, später dann Emmi Walther mit der er nach Paris an die Academie Julian ging. 1900 mietete er sein erstes eigenes Atelier in Kopenhagen und heiratete zwei Jahre später Ada.

Der Weg zum Künstler

1902 wird aus Hans Emil Hansen der Künstler Emil Nolde. Er wird 1906 Mitglied in der Künstlergruppe Brücke. Dadurch arbeitete er nun mit jüngeren Kollegen, wie Ernst Ludwig Kirchner, Fritz Bleyl, Erich Heckel und Karl Schmidt-Rottluff zusammen. In Berlin trifft er Edvard Munch. Seine aktive Mitgliedschaft in der Brücke beendete Nolde acht Ausstellungen später nach etwa zwei Jahren. Er hatte sich mit Schmidt-Rottluff zerstritten. 1909 wird er Mitglied der Berliner Secession und gründet nach ungefähr drei Jahren, nach einem heftigen Streit mit Max Liebermann, die Neue Secession. Sie eröffnete am 15. Mai ihre erste Ausstellung unter dem Titel „Zurückgewiesene der Secession Berlin 1910“. In dieser Zeit entstehen seine ersten religiöse Bilder, wie das Abendmahl, Pfingsten und die Verspottung. Zwischen 1910 und 1912 hatte er auch erste Erfolge mit eigenen Ausstellungen in Hamburg, Essen und Hagen.

Seebüll

Die Zeit in Berlin

Emil Nolde kam mit etwa zweiundzwanzig Jahren zum ersten Mal in die damalige Reichshauptstadt und lebte zwei Jahre in Berlin, wo er sich als Grafiker über Wasser hielt. Erst ab 1905 wurde Berlin ein Fixpunkt für Ada und Emil Nolde. 1910 malt er das Berliner Nachtleben in siebzehn Bildern. In den zwanzig Jahren seiner „Berlin-Zeit“ entstehen schließlich dreihundert Werke, darunter Aquarelle, Tuschpinselarbeiten und Radierungen. Eingekauft hat er sich nie, nur einmal ernsthaft überlegt hat er. 1928 sollte Ludwig Mies van der Rohe für ihn ein Atelier entwerfen. Die Kosten, damals 80.000 Reichsmark, dürften ihn letztlich abgeschreckt haben. Er mietete stattdessen eine Wohnung in Berlin-Westend. Die wurde allerdings 1944 durch Bomben zerstört und damit auch die Grafiksammlung Noldes.

Der Garten der Nolde Stiftung in Seebüll

In Seebüll wird er schließlich sesshaft

Das Land um Utenwarf dürfte ihn an seine Heimat bei Nolde erinnert haben. 1926 kauft er eine leerstehende Warft bei Neukirchen und nennt sie Seebüll. Bis das Haus fertig war, wohnte er mit Ada auf dem benachbarten „Seebüllhof“, den er miterworben hatte. 1930 ist dann der zweigeschossige Kubus mit Flachdach fertig. Dreißig Jahre lang war das Haus ab nun die Heimat von Emil Nolde. Den Garten legen die Noldes in Form der Initialen E und A als heimatbezogenen Bauerngarten an. In ihm  befindet sich in einem ehemaligen, zur Gruft umgebauten, Erdschutzbunker das Grab von Emil und Ada. Emil Nolde hat dafür noch das Mosaik Madonna mit Kind entworfen.

Nolde Stiftung in Seebüll

Emil Nolde und sein Verhältnis zum Nationalsozialismus

Bereits während seiner Teilnahme an der Deutsch-Neuguinea-Expedition (1913/14) ließ Nolde durchblicken, dass die „Wilden“ in seinen Augen minderwertig waren. Auch in der Kunst sprach er sich gegen die damals moderne französische Malerei der Stilrichtungen Impressionismus, Kubismus, Surrealismus, Fauvismus und Primitivismus aus. Ob Nolde ein echter Antisemit war oder ob er den Antisemitismus nützte um unangenehme Konkurrenz oder missliebige Personen loszuwerden, darüber kann man streiten. Fix ist, dass sich in seinen Schriften, „Das eigene Leben“ (1930) und „Jahre der Kämpfe“ (1934), sehr viele entsprechende Äußerungen finden. Daher war es vermutlich stimmig, dass Nolde 1934 Mitglied bei den Nationalsozialisten wurde.

Die einseitige Liebe des Emil Nolde

Joseph Goebbels und Albert Speer waren zwar von Nolde begeistert aber Hitler selbst und der größte Teil der NS Führung sah sein Werk ausgesprochen kritisch. Seine Bilder landeten daher auf der Liste „entartete Kunst“ und wurden beschlagnahmt und zwangsverkauft. Nolde wollte dies offenbar nicht wahrhaben, er fühlte sich missverstanden und glaubte an Fehler untergeordneter Dienststellen. Er distanzierte sich daher nicht von der nationalsozialistischen Kulturpolitik, sondern versuchte es mit Überzeugungsarbeit, allerdings vergeblich. Pleite ging Nolde trotzdem nicht, denn seine Biographie verkaufte sich gut und in den Galerien wurden weiterhin seine Bilder zu hohen Preisen gehandelt.

Finanziell ging es dem Künstler in der NS-Zeit gut

Nolde war in der NS-Zeit ein angesagter Künstler, die Polarisierung und die Ablehnung Hitlers dürfte den Verkauf seiner Werke nicht geschadet haben, eher ganz im Gegenteil. Finanziell gehörte Nolde zu den erfolgreichsten deutschen Künstlern der 1930er und 1940er Jahre. 1937 und 1939 und 1941 verzeichnete er, das erfährt man aus den Steuerakten, seine höchsten Jahreseinkommen. Das dürfte die Reichkammer der bildenden Künste dazu bewogen haben Nolde 1941 auszuschließen, was quasi einem Berufsverbot gleichkam. Selbst seine Kontakte zu hochrangigen Nationalsozialisten konnten das nicht verhindern.

Emil Nolde hatte nie ein echtes Malverbot

Der Ausschluss aus der Reichskammer der bildenden Künste bedeutete „nur“, dass Nolde weder Leinwand noch Farben oder Pinsel kaufen durfte. Ausstellungen sowie der Verkauf seiner Werke waren ebenfalls verboten. Allerdings konnte Nolde weiterhin privat malen und das Verkaufsverbot war leicht zu umgehen. Zusätzlich hatte er die Möglichkeit ein Werk dem „Ausschuss zur Begutachtung minderwertiger Kunsterzeugnisse“ vorzulegen um dadurch eine Genehmigung für den Verkauf zu erwirken. Nach dem Ende des Dritten Reiches hat Nolde aber immer wieder darauf hingewiesen, dass er ein Malverbot während der NS-Zeit gehabt hätte und auch die Kunsthistoriker dieser Zeit haben das gerne übernommen. In diesem Kontext entstanden der Begriff der sogenannten „ungemalten“ Bilder und deren Rezeptionsgeschichte.

Nolde in der Literatur und im Film

Das Leben Emil Noldes in der Zeit des „Malverbots“ ab 1941 spiegelt sich in dem Roman Deutschstunde von Siegfried Lenz (1968) wider. Der Roman wurde 1971 für das Fernsehen und 2019 fürs Kino verfilmt. Das Filmporträt Träume am Meer – Der Maler Emil Nolde unter der Regie von Wilfried Hauke wurde 2006 gedreht. In dem Buch Nolde und ich. Ein Südseetraum erzählte Hans Christoph Buch 2013 Noldes Reise in die Südsee. (Quelle Wikipedia)

Expressionismus / Screenshot

Ein paar Worte zum Expressionismus

Der Expressionismus ist ganz simpel die kunsthistorische Gegenbewegung zum Impressionismus. Der Begriff leitet sich vom französischen Wort „expression“ ab und bedeutet soviel wie „Ausdruck“. Er bezeichnet einen Kunst-, Musik- und Literaturstil der zwischen 1910 und 1925 praktiziert wurde. Der Begriff wurde 1911 von Kurt Hiller geprägt und stammt aus dem Dunstkreis der Künstlerbewegungen der „Brücke“ in Dresden (1905) und des „Blauen Reiter“ in München (1911). Ist der Impressionismus vergleichsweise „lieblich“, so ist der Expressionismus bestrebt Brüche und Veränderung zu bringen. Das innere und geistige Erlebnis wird bestimmend, daher sind sein Ausdruck und seine Farbgebung explosiv, kraftvoll und leidenschaftlich. Sein Ursprung liegt in Frankreich. Spannend an diesem Stil ist, dass der Künstler Grenzen überschreitet. Er ist nicht mehr „nur“ Maler sondern versucht sich auch in anderen Genres der Kunst. Der Künstler Ernst Barlach war zum Beispiel Bildhauer, Grafiker und Dichter und der österreichische Maler Oskar Kokoschka war auch Lyriker.

Kommentar verfassen