Die Backsteingotik in Norddeutschland ist bekannt, denn wer kennt nicht das Holstentor in Lübeck, das Rathaus in Bremen oder die Bürgerhäuser Lüneburgs? Der mittelalterliche Backstein prägte das Bild der Hansestädte. Fünfhundert Jahre lang – zwischen dem 12. und 16. Jahrhundert – entstanden Bauwerke, die der Backsteingotik zugeordnet werden können. Sie sind vor allem im Norden Deutschlands und im gesamten Ostseeraum zu finden. Dabei macht der Backstein nicht vor der Moderne halt, denn in den 20er Jahren des vergangenen Jahrhunderts entstand in den größeren Städten des Nordens, vor allem in Hamburg und Bremen, aber auch im Ruhrgebiet eine architektonische Stilrichtung, die als Backsteinexpressionismus bezeichnet wird. Stein war im Norden Deutschlands immer Mangelware, daher war der Backstein eine perfekte Alternative. Neu war die Idee allerdings nicht, denn der Backsteinbau war bereits in Mesopotamien und in der etruskischen und römischen Baukunst bekannt.

Rathaus Bremen

Wie kam der Backstein eigentlich nach Deutschland?

Die frühchristlichen Bauten in Ravenna wurden meist in Backsteinbauweise errichtet und im Mittelalter hatte der Backsteinbau ab dem 9.Jahrhundert auch in der Lombardei große Bedeutung. Von dort verbreitete sich diese Bautradition nach Norddeutschland. Hier ist das erste Werke des romanischen Backsteinbaus der 1165 begonnene Dom in Brandenburg. Um 1260 wurde dann mit dem Bau der Lübecker Marienkirche begonnen, die, als Backsteinbau mit den Dimensionen einer französischen Kathedrale, Vorbild war für die Hauptkirchen in vielen Hansestädten. Die Hanse war überhaupt die Trägerin dieser Bautradition. Die Marienkirche in Lübeck, die Stadt galt damals als „Königin der Hanse“, war vorbildlich für die Kirchen von Wismar, Rostock, Stralsund, Neubrandenburg, Gdansk (Danzig), Riga und darüber hinaus im gesamten Ostseeraum. Das Langschiff von Lübecks St. Marien ist übrigens mit 40 Meter das höchste Backsteingewölbe der Welt und die Kirche selbst ist die drittgrößte Deutschlands.

Backstein in Hamburg

Hamburg ist ein Eldorado für Backsteinfans

Hamburg ist Backstein, denn diese Bautradition prägt die Freie und Hansestadt seit einigen Jahrhunderten. Backstein ist in Hamburg immer aktuell gewesen und das ist bis dato so geblieben. In traditioneller Backsteingotik sind die Hauptkirchen der Stadt (St. Nikolai, Sankt Petri, Sankt Katharinen und Sankt Jacobi) gebaut. Aber auch das Schloss Bergedorf, übrigens das einzige erhaltene Schloss im Hamburger Stadtgebiet, ist ein Bau der Backsteingotik, ebenso wie der Turm Neuwerk auf der gleichnamigen, zu Hamburg gehörigen Insel Neuwerk. Dieser ehemalige Wehr-Wohn-und Leuchtturm ist außerdem der älteste Profanbau der deutschen Küste. Der weltgrößte historische Lagerhauskomplex, die Hamburger Speicherstadt im Hafen ist ebenso Backstein pur und der Backsteinexpressionismus der 20er Jahre des 20.Jahrhunderts hat einige tolle Gebäude entstehen lassen. Das Bekannteste davon ist das „Chile-Haus“, diese Ikone des sogenannten Klinker- Expressionismus wurde 1924 von Fritz Höger fertig gestellt. 4,8 Millionen Bockhorner Klinker sind in dem UNESCO Weltkulturerbe verbaut.

Chile Haus Hamburg

Der Backsteinexpressionismus der 20 Jahre ist auch schön

In Hamburg sagt man dazu „Klinker-Expressionismus“, diese Bauweise ist in den 20er Jahren des vergangenen Jahrhunderts entstanden. Sie kam vorwiegend in den größeren Städten des Nordens, vor allem in Hamburg und Bremen, zur Anwendung. In einer Zeit, in der die neue Sachlichkeit des Bauhauses für glatte, ornamentlose Fassaden eintrat, entwickelten die Architekten des Expressionismus quasi zeitgleich eine ornamentale Formensprache mit rauen, kantigen, oft spitzen Elementen. Die horizontale Fassadengliederung durch abwechselnd vor und zurückgesetzten Backsteinreihen sind ebenfalls typisch für diese Bauten. Diese Stilelemente stehen für die Dynamik dieser Zeit, aber auch ihre Heftigkeit und ihre Spannungen. Die Architekten des Backsteinexpressionismus bauten mit Ziegeln, besonders den hart gebrannten Klinkern, um die Fassaden lebendiger erscheinen zu lassen. Klinker waren bunt und außerdem den schwierigen klimatischen Bedingungen von Industrieanlagen am besten angepasst. Die wichtigsten Vertreter des Backsteinexpressionismus in Norddeutschland sind Fritz Höger und Fritz Schumacher.

Margarinefabrick Voss Hamburg

Das Baumaterial Backstein ist nicht ganz einfach

Backstein ist sperriger als Haustein, filigrane Formen sind kaum möglich. Denn der Backstein besteht aus Lehm-oder Tonerde und diese brennt man in einer Form mehrere Tage im Ofen. Das in der Tonerde vorhandene Eisenhydroxid wandelt sich beim Brennprozess bei etwa 1000 Grad in rotes Eisenoxid um. Die Produktion ist aufwendig. Im Mittelalter brauchte man etwa drei Jahre um einen fertigen Ziegel zu bekommen denn die Backsteine mussten jahrelang getrocknet werden. Um einen Backstein zu erzeugen hat man im Herbst den Ton gestochen und aufgehäuft. Man ließ ihn im Freien überwintern damit der Frost ihn auflockern konnte. Im Frühjahr hat man den Ton mit Wasser vermischt und geschmeidig gestampft. Dann hat man den Ton in hölzernen Modeln geformt. Form plus Ton wurden anschließend auf Brettern kreuzweise gelagert und getrocknet. Erst dann konnte man die Backsteine im Ziegelofen brennen.

Architektur beginnt, wenn zwei Backsteine sorgfältig zusammengesetzt werden. Architektur ist eine Sprache mit der Disziplin einer Grammatik. Man kann Sprache im Alltag als Prosa benutzen. Und wenn man sehr gut ist, kann man ein Dichter sein

Mies van der Rohe

Die Steine haben aufgrund der festen Form eine Einheitsgröße. Um Steine abweichender Form herzustellen musste man das Model verändern. Diese Backsteine bezeichnet man als Formsteine. Sie können Kreuzform haben oder rechteckig mit einem Halbrund sein. Der Begriff Formstein bezieht sich darauf, dass für sie besondere Modele in der entsprechenden Form hergestellt werden mussten. Manchmal überzog man die Steine mit verschiedenfarbigen Glasuren.

Hansestadt Lüneburg

Lüneburg liegt auf der Route der Backsteingotik

Die Route der Backsteingotik verbindet zahlreiche Klöster, Kirchen, Rat- und Bürgerhäuser sowie Stadtbefestigungen aus Dänemark, Deutschland und Polen. Es ist eigentlich die Route der Hanse, denn vor 800 Jahren konzentrierten sich Reichtum und Macht vor allem entlang der Handelsrouten dieses Städtebundes. Daher findet man entlang dieser Handelsstraße großartige Architektur. Die Hansestadt Lüneburg zum Beispiel ist umgeben von zahlreichen Gemeinden, die sich durch eine Vielfalt backsteingotischer Kirchen auszeichnen. Zu ihnen zählen Adendorf, Barskamp, Betzendorf, Dahlenburg, Embsen, Lüdersburg, Neetze, Radegast, Scharnebeck und Thomasburg. Sie alle gehören zum Kirchenkreis Lüneburg. Auch das 1000jährige Lüneburg gehörte im Mittelalter zur Hanse. Mit seinen vielen Salzsiedereien gelangte die Stadt zu großem Reichtum, der sich noch heute in den prächtigen Kirchen, Bürgerhäusern und ganz besonders dem Rathaus widerspiegelt. Glücklicherweise erlitt die Stadt im zweiten Weltkrieg keine Zerstörungen, so dass neben backsteingotischen Häusern auch Gebäude aus späteren Jahrhunderten erhalten blieben, wie dem Barock und der Renaissance.

Bremen

Auch Bremen hat viel Backstein zu bieten

Die Kirche St. Martini, das verloren gegangene Palatium, die Kirchen St. Johann und St. Petri, das ebenfalls leider nicht mehr existente Haus Speckhan und allen voran das Rathaus sind bekannte architektonische Vertreter der Backsteinarchitektur Bremens. Martin steht noch immer direkt an der Weserpromenade Schlachte. Sie wurde als spätgotische Hallenkirche aus Backstein um 1229 als dreischiffige Basilika auf romanischen Grundriss erbaut. Original erhalten ist sie allerdings nicht, denn sie wurde 1944 zerstört, der Wiederaufbau erfolgte dann ab 1952. Das Backstein Highlight Bremens ist aber unbestritten das über 600 Jahre alte Rathaus. Die UNESCO erklärte den Bau gemeinsam mit dem Bremer Roland 2004 zum Welterbe der Menschheit. Das Rathaus wurde in nur vier Jahren Bauzeit, von 1405 bis 1409 gebaut. Rund zwei Jahrhunderte später erhielt das gotische Gebäude eine neue Fassade durch den Bremer Baumeister Lüder von Bentheim. Diese Renaissance-Fassade aus dem Jahr 1608 ziert das Rathaus bis heute.

Das „Rote Schloss“ in Flensburg

In der Neogotik hat man ebenfalls gerne mit Backstein gebaut

Im 19.Jahrhundert kommt die Gotik wieder und das führt zu einer Wiederbelebung der Backsteinbauweise. Neogotische „Ziegelkirchen“ gibt es in ganz Norddeutschland. Ein wichtiger deutscher Architekt dieses Stils war zum Beispiel Simon Loschen in Bremen. Zu Beginn des 20. Jahrhunderts baute man dann die sogenannte Heimatschutzarchitektur, auch bekannt als Heimatschutzstil, in Norddeutschland und hier vor allem in Schleswig-Holstein. Die Gebäude wurden neugotisch, aber mit nach traditionellen Vorbildern gestaffelten Ziegeln errichtet. 1910 ließ Adalbert Kelm das „Rote Schloss am Meer“, die Marineschule Mürwik errichten, in der er den Stil der norddeutschen Backsteingotik wieder aufgriff. Der Architekt Paul Ziegler, der am Vorentwurf beteiligt war, bekam dann in Flensburg eine Stelle als Magistratsbauoffizier. Die Heimatschutzarchitektur respektive der Heimatschutzstil war „eine auf lokalen und regionalen Bautraditionen wurzelnde, Historismus und Jugendstil überwindende Baukunst auf dem Weg zur Moderne“.

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