Das Shiva Lingam

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„Lingam“ wird meist mit „Phallus“ übersetzt aber es ist es viel mehr als „nur“ ein Phallussymbol. Das Shiva Lingam vereint, so wird es im Westen gelehrt, das weibliche und männliche Prinzip durch den sexuellen Akt. In Indien sieht man die Sache etwas komplexer, das zeigen die unterschiedlichen Übersetzungsmöglichkeiten des Begriffes. „Lingam“ kann Zeichen oder Symbol bedeuten aber man kann es auch als „Strahlender“, beziehungsweise „Leuchtender“ übersetzen. In diesem Kontext ist Shiva die Feuersäule, der Lichtstrahl der die beiden Pole verbindet. Der Gott ist der Akt der „Schöpfung“.

Shiva Lingam FOTO: rosareisen

Das Shiva Lingam in seinen verschiedenen Bedeutungen

Das Lingam wird als Vereinigung des männlichen und weiblichen Prinzips gesehen. Sie ist die Quelle allen Lebens, die Ursache des Universums. Die Vereinigung der gegensätzlichen Pole bringt nicht nur die Erde und ihr Leben hervor, sie ist der Akt der Schöpfung schlechthin. Im Westen wird sie gerne auf den sexuellen Akt reduziert. Das Lingam ist in dieser Vorstellung der Phallus, seine Basis, das Yoni, entspricht der Vagina. Man anerkennt aber auch im Westen, dass es „nicht nur“ um eine Verherrlichung des sexuellen Aktes geht sondern auch um die Verschmelzung zweier Pole. Allerdings steht im Westen der sexuelle Kontext im Vordergrund. In Indien ist das anders. Hier ist die Mystik bedeutender als das sexuelle Narrativ. Die (westliche) Reduzierung auf die Sexualität ist eine recht neue Interpretation, meist von westlichen Indologen die gerne von Neo-Tantra Anhängern aufgegriffen wird. Die westliche Erklärung greift nach indischer Vorstellung zu kurz.

Shiva Lingam FOTO: rosareisen

Das Shiva Lingam im asiatischen Kontext

Im Lingam manifestiert sich Shiva in seiner ätherischen Form. In indischen Texten wird das Lingam als „Feuersäule“ oder Lichtstrahl beschrieben. Dazu gibt es eine Legende, in der geht es um die Entstehung des Lingams. Die Hauptgötter des Hinduismus waren sich in die Haare geraten. Der Konflikt: „Wer ist der höchste Gott?“ Mitten in diesem Streit erschien plötzlich eine Feuersäule am Himmel. Brahma verwandelte sich in eine Wildgans und flog in den Himmel. Er wollte das obere Ende der Feuersäule erkunden. Vishnu wurde zu einem Eber und tauchte in die Tiefen des Meeres um das untere Ende zu erforschen. Keiner von ihnen erreichte sein Ziel. Da nahm die Feuersäule plötzlich Gestalt an und Shiva trat aus hier hervor. Damit hatte er gewonnen, alle Götter huldigten ihm als höchsten Gott.

Sadhu FOTO: rosareisen

Das Shiva Lingam gibt es auch als handlichen Stein

Ein „Shiva Lingam“ kann auch ein oval geformter Stein aus verschiedenen Sedimenten sein, wie sie in indischen Flüssen gefunden werden. Die Erosion des Wassers formt diese Steine, die Sedimente geben ihnen die Farbe. Diese Gerölle sind durch ihre sedimentäre Zusammensetzung verschieden gefärbt: Grau, Rotbraun und Beige sind die häufigsten Farbtöne. Mindestens zwei Farben muss ein Stein haben, diese Gerölle werden zu den ovalen Lingams poliert. Ursprünglich wurde nur ein Stein aus dem indischen Fluss Narmada als Shiva Lingam bezeichnet aber heute werden aufgrund der hohen Nachfrage auch Gerölle aus anderen indischen Flüssen verarbeitet.

Sadhus FOTO: rosareisen

Das Shiva Lingam hat Tradition

Phallusartige Steine gab es in Indien bereits vor der Ankunft des Hinduismus. So wie Shiva ein vorvedischer Gott ist, vermutlich ein alter Fruchtbarkeitsgott, so ist seine Erscheinungsform als Lingam eine sehr alte Vorstellung. Lingams haben in Indien eine mehrere Jahrtausend Jahre alte Tradition und einige Steine werden noch heute an heiligen Plätzen verehrt. Die Hindus kennen verschiedene Arten von Lingams. Natürlich entstandene, aus Gestein, Felsenformationen oder Eissäulen und „künstliche“ also vom Menschen geschaffene. Die fest auf ihrem Platz verbleibenden Lingams werden Acala – Lingams genannt, im Gegensatz zu den beweglichen Lingams, die Cala-Lingams heißen. Sie stehen in Haustempeln oder werden nur kurzfristig hergestellt, etwa aus Sand oder Ton, um nach dem Ritus wieder zerstört zu werden.

Sadhus FOTO: rosareisen

Das häufigste Verehrungsform von Shiva – das Lingam

Meistens trifft man den Lingam in einem Shivatempel an. Hier sitzt er auf einer ovalen Scheibe, die gleichzeitig Opferwasserabfluss ist, dem Yoni. Dieses ruht wiederum seinerseits auf einem kleinen Podest. Diese Darstellung wird als Shiva in seiner ätherischen Form verstanden. Die Priester behandeln diese Darstellung wie ein Kultbild, sie waschen es, sie füttern es und sie bekleiden und salben es. Auf theologischer Ebene steht Shiva jenseits von Name, Form und Zeit. Die Überlieferungen betonen in seinem Fall die Formlosigkeit darum wird Shiva selten mit menschlichen Zügen dargestellt. Vorwiegend verehrt man ihn in abstrakten Formen, meist im Lingam, oft aber auch in einem seiner Attribute, besonders im Dreizack.

Pushkar FOTO: rosareisen

Shiva – der „alte Gott Rudra“

Shiva ist ein “alter” Gott, sein Vorläufer ist “Rudra”, der Rote, der Heulende, der Brüllende. Dieser “Protoshiva” wurde, um ihn zu besänftigen, später mit “Shiva” angesprochen. Shiva bedeutet „der Freundliche“. Die Legende erzählt: Rudra soll aus der Stirn des Brahma geboren sein als dieser gerade ausgesprochen schlechte Laune hatte. Sein Wohnsitz sind die hohen Berge im Norden, alle anderen Götter leben im Osten. Man opfert Rudra an Kreuzwegen und Maulwürfhügeln. Der „Protoshiva“ ist ein typischer Naturgott, er verkörpert die wilde, gefährliche, ungebändigte, unkultivierte, ungestüme, unheimliche, launenhafte und unberechenbare Natur. Er gilt als Personifikation der Wildnis. Rudra ist ein dualer Gott denn er vereint immer beide Prinzipien – er kann zerstören und er kann heilen, er kann vernichten, aber er kann auch schützen. Shiva dagegen ist seine “gezähmte” beziehungsweise „sanfte“ Form – als Zerstörer und Erneuerer ist er einer der populärsten Götter Indiens.

Sadhus FOTO: rosareisen

Pashupatas, Nathas, Lingayats und Sadhus

Ähnlich widersprüchlich wie Shiva sind auch seine Anhänger. „Shivaismus“ besteht aus vielen, völlig unterschiedlichen religiösen Strömungen. Zu den ältesten gehören die „Pashupatas“ die Shiva als „Pashupati“, den „Herrn der Tiere“ verehren. Sie werden bereits in vorchristlicher Zeit in Texten erwähnt und sind eine devotionale und asketische Bewegung, Shiva gilt ihnen als gnädiger Erlöser. Die Religion der „Natha“ wiederum soll auf die Gründung eines einfachen Fischers im 8./9. Jahrhunderts zurückgehen. Nathas lehnen Kastengrenzen kategorisch ab. In Kashmir hat sich eine weitere Glaubensvorstellung entwickelt: Die Theologie des volkstümlichen „Kashmiri Shivaismus“, ebenfalls im 8./9. Jahrhundert entstanden, geht davon aus, dass alle Wesen mit Shiva ident sind, diese Tatsache aber aufgrund von Verblendung („Maya“) nicht erkennen. Die im 12.Jahrhundert gegründeten monotheistischen „Lingayats“ führen als Gegenstand der Verehrung stets einen „Linga“ in Form eines Steins mit sich. Auch sie lehnen das Kastenwesen und die Autorität der „Veden“ ab.

Im Shivaismus kommen auch extreme religiöse Praktiken vor. „Sadhus“, man kann sie als „Asketen“ übersetzen sind ihre Ausübenden. Jene die der Gruppe der „Nagas“ angehören gehen oft völlig nackt zu Festen, einige tragen Speer und Schild mit sich. Als besonders extrem gelten die Asketen der „Aghoris“, die völlig außerhalb gesellschaftlicher Normen leben, häufig auf Leichenplätzen. Ihr „verrücktes“ Verhalten soll die Überwindung der Welt ausdrücken.

Sadhu FOTO: rosareisen

Über die Bedeutung der Darstellung Shivas im Lingam herrscht auch unter seinen Anhängern keine Einigkeit.

Die Erklärung der sexuellen Vereinigung greift zu kurz, aber sie ist nicht ganz falsch, denn die bei der Vereinigung zweier gegensätzlicher Pole entstehende Energie ist die Voraussetzung des “Wirkens”. Der Phallus kann als Energiesäule umgedeutet werden, als Verbindung die aus der Schöpfung entsteht. Das ist der Hauptaspekt Shivas. Im Gegensatz zu Vishnu will er nicht erhalten, er will zerstören und aus der Zerstörung Neues erschaffen. Er ist selbst Gegensatz und Verbindung der Gegensätze, daher passt er in keine feste Form. Seine Form ist die Schöpfung. Diese manifestiert sich im Lingam.

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