Alles hat seine Zeit und seine ihm innewohnende Geschwindigkeit auch das Reisen. Seit es Menschen gibt, bewegen sie sich von Ort zu Ort. Das Reisen ist einem ständigen Veränderungsprozess unterworfen – von der Motivation über das Tempo bis hin zur dahinterliegenden Philosophie. Die Geschwindigkeit einer Reise macht etwas mit dem Menschen. Entsprechend dem Tempo verändern sich Erlebnis und Eindruck. Menschen die schnell und viel reisen also eher „abhaken“, erleben weniger und verwechseln mehr, die Details entgehen ihnen, denn die Offenheit für das Erleben und Sehen braucht seine Zeit. Wer nur einen kurzen Blick auf eine Wiese wirft wird die dort blühenden Blumen nicht sehen. Der „Abhaker“ sieht eine Wiese, der Vielreisende eine Blumenwiese und der Intensivreisende wird den Geruch der Blumen erleben. Motiv und Tempo haben einen großen Einfluss auf den „bleibenden Gewinn“ einer Reise. Der Gewinn ist das Erlebnis und die ewige Erinnerung daran.

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Motive des Reisens – zuerst mit dem Schiff

Die erste Motivation war „Migration“, der Mensch zog von einem Platz zum anderen in der Hoffnung bessere Lebensbedingungen vorzufinden. Er verwendete Lederboote und reiste vorwiegend auf Flüssen. Das zweite Motiv mag der Handel gewesen sein. Auch wenn es in der Antike erste Vergnügungsreisen gab, man reiste in jener Epoche vor allem des Handels wegen. Die Phönizier, vielleicht nicht die ersten Seefahrer aber doch die erste ernstzunehmende Seefahrernation, segelte von Syrien bis nach Portugal. Die Wikinger waren im Frühmittelalter unterwegs. Sie unternahmen Raubzüge in andere Länder, Beute und Landgewinn war ihr Antrieb. Mut und Entdeckergeist hatten sie, immerhin gelangten sie nach Stand der aktuellen Forschung bis Neufundland im Westen und im Osten bis nach Russland. Ihnen folgten die „Entdecker“, von Kolumbus über Vasco da Gama bis Magellan. Sie alle verwendeten das Schiff als Transportmittel.

Pilgerreisen – zu Fuß zu der Selbsterkenntnis

Auch Religion war ein Reiseantrieb – Pilger, also religiös oder spirituell motivierte Reisende, gehören ebenfalls zu den ersten „Touristen“. Pilger verschiedenster Religionen gab es schon in der Antike und auf fast allen Kontinenten. Auf ihren Wegen durchquerten sie meist mehrere Länder. Im Mittelalter kam es zu einem regelrechten Pilger-Boom. Der „Gang nach Canossa“ Heinrichs des IV. oder die Reise am Jakobsweg gehören zu den berühmtesten Pilgerreisen der Welt. Nach Canossa geht heute kaum noch jemand, der „Camino“ ist dagegen sehr frequentiert.

Diplomatie und kultureller Austausch

Er soll einer der ersten internationalen Diplomaten gewesen sein: Marco Polo hat angeblich an die 24.000 Kilometer, gemeinsam mit Vater und Onkel auf seinen Asienreisen zurückgelegt. Schiff, Kamel, Pferd oder Maultier waren sein Fortbewegungsmittel. Auch wenn Marco Polos Reiseberichte immer wieder von Historikern angezweifelt werden, er hat existiert und war zweifelsohne ein Vielreisender. Angeblich brachte er die Nudeln von China nach Italien und auch den Vorläufer der Pizza. Reisen hat immer auch den kulturellen Austausch gefördert. Vieles das uns heute heimisch erscheint, der Apfel, Pfirsiche oder Pflaumen, hat seinen Weg nach Europa auf den alten Handelswegen, wie den Seidenstraßen, gefunden.

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Erste Bildungsreisen

Im 18. Jhdt. wurde der Bildungsaspekt des Reisens immer wichtiger. „Studienreisen“ gehörten zum guten Ton. Goethes Italienreise ist eine der bekanntesten Bildungsreisen dieser Zeit. Humboldts berühmte Amerika-Reise war eine Forschungsexpedition, sie weckte aber auch das Fernweh von Nichtforschern. Spätestens ab der Romantik war die Landschaft nicht mehr ein zu überwindendes Hindernis, sondern sie wurde mit Bedeutung aufgeladen. Die Reisen entlang des Rheins wurden zur Wiege des deutschen Tourismus. Reisen war damals eine Männerdomäne, erst im 19.Jahrhundert gab es auch reisende Frauen, die ihre Erlebnisse in Büchern erzählten und damit bekannt wurden, wie Ida Pfeiffer, die Reisende des Biedermeier.

Die erste Revolution des Reisens – das Industriezeitalter

Schiff ist nicht Schiff wenn man die Weltmeere durchqueren will, erst als die portugiesische Karavelle entwickelt wurde, konnte man gegen Wind und Strömung fahren. Die Dampfmaschine war die Voraussetzung für einen regelmäßigen Passagierverkehr. Die unter britischer Flagge fahrende „Sirius“ war das erste Dampfschiff, das den Atlantik überquerte. Seine 18-tägige Überfahrt im Jahr 1838 war der Startschuss für eine neue Art zu reisen – die Schiffsreise, heute (Schiffs)Kreuzfahrt, war geboren. 1912 ging mit der „Titanic“ zwar das größte Schiff seiner Zeit unter aber nicht die Dampfschifffahrt – nach dem Ersten Weltkrieg begann deren Blütezeit. Statt Kohle verwenden Kreuzfahrtschiffe heute Schweröl, das ist effizienter aber sehr umweltfeindlich, daher steht dieses Tourismussegment in berechtigter Kritik. Corona hat die Kreuzfahrten gestoppt, denn die mittlerweile riesigen Schiffe sind so etwas wie schwimmende Petrischalen.

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Die zweite Revolution des Reisens – fossile Brennstoffe und das Flugzeug

Das Flugzeug mag die bisher extremste Veränderung des Reisetempos sein. Weder Wind noch Dampf und Kohle hätten ein solches Transportmittel betreiben können, erst die Erfindung der fossilen Brennstoffe machte diese Art des Reisens möglich. Hin-und Rückflug werden vielleicht als Anreisen empfunden, trotzdem ist es ein Sprung von einer Welt in die andere. In wenigen Stunden wechselt der Mensch nicht nur die Klimazone sondern auch die Kultur und damit verbunden, Sprache, Nahrung, Geräusche, Gerüche und nicht zuletzt das Licht. Der Ökonom Niko Paech spricht in seinem Buch »Befreiung vom Überfluss« diesbezüglich von einer »dreifachen Entgrenzung« – einer körperlichen, einer räumlichen und einer zeitlichen. Jeder Ort der Erde ist in einem Tempo erreichbar, das ein Mensch ohne Hilfsmittel niemals bewältigen könnte. Das hat Auswirkungen auf das Erlebnis einer Reise – nicht nur positive.

Wir haben den Respekt vor der Distanz vollkommen verloren. Eineinhalbtausend Kilometer – was ist das schon, wenn man diese Strecke in weniger als zwei Stunden mit dem Flugzeug zurücklegen kann? Selbst eine zwölfstündige Bahnfahrt als Alternative (welche menschheitsgeschichtlich betrachtet ein gigantisch hohes Maß an Komfort und Reisegeschwindigkeit darstellt) wird heute bereits als fast inakzeptable Zumutung empfunden.

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Das Tempo und der Komfort haben Einfluss auf den Respekt vor der Distanz

Ein Kaffee in Rom, Shoppen in New York, Sushi in Tokio, ein Selfie am Grand Canyon – das alles ist möglich weil relativ billig und schnell erreichbar. Noch vor einer Generation hatte man Respekt vor Distanz und vor dem Fliegen, heute ist das Flugzeug ein Massentransportmittel, analog einer U-Bahn. Ähnlich wie Yin und Yang einander bedingen ist auch Gut und Böse nur die jeweils andere Seite einer Medaille. Die Welt hat sich „globalisiert“ und das hat Kulturen einander nähergebracht aber es hat sie auch „gleichgemacht“, viele Unterschiede sind so verloren gegangen. Wer seine Unterhosen vergessen hat, kann sie bei H&M weltweit einkaufen. Die Welt ist klein geworden, der Mensch hat den Respekt vor der Distanz verloren und auch die Wertschätzung eines fernen Ziels ist heute eine andere.

Möglich wurde diese Respektlosigkeit nur durch die Verbrennung fossiler Energie. In früheren Zeiten war das Reisen zeitaufwendig, mühsam, teuer und risikoreich. Alles das wurde mit fast kostenlos verfügbarem Erdöl aus der Welt geschaffen. Aus beschwerlichen und vermutlich gut überlegten Reisen wurden so mit der Zeit immer billigere und entsprechend immer gedankenloser konsumierte Transportvorgänge auf Verbrennungskraftmaschinen.

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Die (vielleicht) dritte Revolution des Reisens – die Pandemie

Nun hat die Tourismusindustrie mitten im Boom eine Vollbremsung hingelegt. Ein kleines, mit freiem Auge nicht sichtbares Virus namens SARS-CoV-2 hat die Bremse gezogen. Reisen sind, abhängig von den jeweiligen Infektionszahlen, nur schwer oder gar nicht möglich. Einerseits sind die Grenzen teilweise geschlossen anderseits haben die Menschen Angst. Diese Zwangspause ist eine Gelegenheit über Reisen nachzudenken. Über das WIE, wie wir reisen und auch darüber, was reisen mit uns macht oder warum es uns eigentlich in die Ferne zieht.

In diesem Irrgarten aus Gedanken stößt man unweigerlich auf die Sache mit der Masse. Der Massentourismus funktioniert in Zeiten einer Pandemie nicht. Überall wo es eng wird steckt man sich an. Die ersten Kreuzfahrtschiffe wurden bereits verschrottet und das eine oder andere Hotel hat für immer geschlossen. Billige Gesellschaftsreisen in großen Gruppen sind verboten, man achtet auf Abstand seit es Corona gibt. Professionell geführte Kleingruppenreisen hat es in diesem Sommer gegeben und auch den einen oder anderen Badeurlaub am Meer.

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Vermutlich werden wir wieder langsamer Reisen

Niemand kann sagen, wann und wie Reisen wieder möglich sind. Im Moment sitzt die Welt in einer Art Lock Down, einer erzwungenen Starre, die nicht besonders geschätzt wird. Die Sehnsucht nach der Ferne ist da also wollen Menschen reisen. Man hat sich daran gewöhnt. Für viele Menschen ist es die notwendige Abwechslung in ihrem Leben, etwas worauf man sich freuen kann und wovon man zehrt. Viele haben die Zwangserfahrung gemacht, dass eine Reise auch langsam sein kann, zum Beispiel jene, die 2020 beim Wandern das Fremde in der Nähe entdeckten. 2021 wird wieder mehr möglich sein aber die Erfahrung ist gemacht, die Dinge hinterfragt und die persönliche Veränderung ist passiert. Das erzwungene Neo-Biedermeier hat Spuren hinterlassen. Klug sind Veranstalter die auf Kleingruppen und intensives Erleben setzen. Wir werden 2021 noch etwas langsamer unterwegs sein als vor der Pandemie.

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