Früher hat man „Ethnozentrismus“ gesagt, heute verwendet man öfter den Begriff „Eurozentrismus“, beides tut nicht gut. Wer die Welt und die Menschen mag respektiert sie in ihrer Vielfalt und Eigenart. Europa hat damit ein „kleines“ Problem, zu oft legt es den eigenen Maßstab, die europäischen Werte und Normen, an die ganzen Welt an. Das hat damit zu tun, dass sich Europa so ein bisschen als „Nabel der Welt“ versteht und übersieht, dass Werte und Normen immer Verhandlungssache sind. Jede Kultur legt ihre eigenen Maßstäbe fest, Europa ist nicht der Maßstab für die ganze Welt.

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Ethnozentrismus eine Annäherung

Im Duden findet sich folgende Definition: „Form des Nationalismus, bei der das eigene Volk (die eigene Nation) als Mittelpunkt und zugleich als gegenüber anderen Völkern überlegen angesehen wird“. Das klingt nicht sehr freundlich und ist es auch nicht. Der Begriff Ethnozentrismus wurde in der Psychologie, in den Sozialwissenschaften und in der Politikwissenschaft gebraucht. Er bezeichnete die Voreingenommenheit eines Individuums oder einer Gruppe gegenüber einer anderen (fremden) Gruppe. Heute ist er weitgehend durch den Begriff „Eurozentrismus“ ersetzt, besser macht das die Sache aber nicht.

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Eurozentrismus tut nicht gut

Diesen Begriff kennt der Duden nicht, er schlägt stattdessen das Wort „Egozentrismus“ vor. Der Eurozentrismus hat durchaus mit „Ego“ zu tun und zwar mit dem Ego Europas. Das ist so groß, dass es andere Kulturen bewertet und ihnen einen Maßstab aufzwingen will, der nicht der ihre ist. Der Eurozentrismus ist eine Einstellung, die Europa ohne groß zu fragen in den Mittelpunkt des Denkens und Handelns stellt. Er geht aus von der Annahme, dass die kulturellen und politischen Systeme Europas das ideale Modell universeller Vernunft und menschlicher Entwicklung darstellen. Aus der Brille des Eurozentrismus wird Europa als Maßstab gesellschaftlicher Analysen und politischer Praxis betrachtet. Bei aller Liebe zu Europa, das entspricht nicht der aktuellen Realität.

„Die Barbaren des 20. Jahrhunderts können nur dann in kulturvolle, zivilisierte Menschen verwandelt werden, wenn sie sich die Wertschätzung der Kunst und die Liebe zu ihr aneignen.“ (J.P. Getty)

Süddeutschen Zeitung (Jänner 2006)

Eurozentrismus ist eine Scheuklappe

Wer die Welt bereist und sie nur durch eine europäische Brille betrachtet, der wird nicht viel sehen. Diese Brille wirkt wie eine Scheuklappe, man sieht nur wenig aber man fürchtet sich auch weniger. Der Eurozentrismus tut dem Verstehen nicht gut aber er gibt die wohlige Sicherheit in der „richtigen Welt“ zu leben. Den eigenen Standpunkt, mit all seinen Werten und Normen, zu hinterfragen ist unbequem. Es kann zu Antworten führen, die man gar nicht kennen möchte. Will man aber einen breiten Horizont gewinnen, muss man diese Brille absetzen.

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Wo kommt er denn her, der Eurozentrismus?

Fünfhundert Jahre lang haben sich die europäischen Großmächte die Welt aufgeteilt aufgeteilt. 1492 entdeckt Kolumbus die Neue Welt und damit beginnt die Conquista, die Eroberung der Neuen Welt durch Europäer. Bis zum 19.Jahrhundert hat Europa die ganze Welt kolonialisiert. Die Berliner Kongo Konferenz im Jahr 1885 und der Wiener Kongress 1814-15 markierten diese Aufteilung der Welt unter den europäischen Mächten. Das Schicksal der Welt und ihrer Menschen wurde damals in Berlin und Wien entschieden. Das Zentrum der Entscheidung war Europa und hier wurde auch der Maßstab gesetzt. Die an die postkoloniale Zeit anschließende Globalisierung hat diese eurozentristische Perspektive nicht wesentlich verändert. Grob gesagt: seit Kolumbus sieht Europa die ganze Welt durch eine europäische Brille.

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Der „edle Wilde“ ein hartnäckiger Mythos

In diesen Kontext gehört auch der „edle Wilde“, er ist ein Idealbild. Es hat ihn nie gegeben, wenn man von Adam und Eva einmal absieht. In der Bibel leben die beiden glücklich und in Harmonie in paradiesischer Natur, zumindest bis zum Sündenfall. Insbesondere die Ureinwohner Amerikas waren Vorbild eines gelungenen Ausgleichs zwischen Mensch und Natur, dessen Harmonie erst durch die Ankunft der Europäer zerstört wurde. Moderne Ethnologie kann mit der Vorstellung vom „edlen Wilden“ längst nichts mehr anfangen. Das ist gut so. Wissenschaft soll nicht werten, der „edle Wilde“ ist aber als Idealvorstellung eine Wertung und zwar eine die mit der Realität wenig gemein hat. Der Philosoph Jean-Jacques Rousseau ist übrigens nicht ganz unschuldig daran, dass sich die Vorstellung des „edlen Wilden“ in Europa bis heute hartnäckig hält. Das Leben Rousseaus und seine Idee des „edlen Wilden“ wurde anlässlich seines 300.Geburtstags im „Augustin“ in einem lesenswerten Artikel beleuchtet

„Der Begriff „edler Wilder“ steht für das Ideal eines Menschen, der im Gegensatz zu den Europäern im Einklang mit der reinen Natur lebt und somit zum Sinnbild europäischer Utopien eines naturverbundenen, exotischen Indianers romantisiert wird. Michel de Montaigne (1533-1592) prägte dieses Bild und stellte damit seine eigene Kultur in Frage. Dieses hochstilisierte Bild des Fremden wurde im 18.Jhdt. von Lahontan, Lafiteau und Rousseau wieder aufgegriffen“

Userwiki Uni Berlin 2010

Die Probleme des Eurozentrismus

Eurozentrismus tut nicht gut weil er nicht nur die Sicht verstellt sondern auch verletzend sein kann. Wer sich selbst für das Maß aller Dinge hält kommt schnell in Versuchung „das Fremde“ als minderwertig anzusehen. Eurozentrisches Denken und Handeln ist meist mit einer Überlegenheitsvermutung verbunden, welche andere Denkweisen und Philosophien negiert oder herabsetzt. Das bedeutet nicht, dass man seinen (europäischen) Standpunkt aufgeben muss sondern es reicht wenn man bereit ist, ab und zu einen anderen Standpunkt einzunehmen. Verstehen bedeutet immer ein Stück in den Schuhen eines anderen zu gehen, sich temporär eine andere Brille aufzusetzen. Diese Erfahrungen helfen die Welt etwas wertfreier und damit realistischer zu sehen. Gelingt das, wir man neue Freunde finden, die bereit sind „das Fremde“ zu teilen. In einer globalen Welt ist das eine wichtige Erkenntnis. Eine Kritik am Eurozentrismus ist allerdings auch eine Auseinandersetzung mit seiner Entstehung und seinen Grundlagen.

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